Das Mittelalterliche Jahrtausend

Die Jahresvorträge des Mittelalterzentrums werden im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Michael Borgolte in der Reihe "Das Mittelalterliche Jahrtausend" herausgegeben.

Band 11

Ludolf Kuchenbuch: Welches Jahrtausend brauchen wir? Zum Für und Wider des »Mittelalters« als Epoche

Göttingen 2024

Cover von Band 11 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / Wallstein Verlag

Mittelalter-Dämmerung? Die Begründungen der Eigenart, Reichweite und Dauer der Zeit zwischen Antike und Moderne sind unübersichtlich geworden. Der Blick zurück klärt, warum, und ermöglicht Orientierung.

Das »Mittelalter« – Gegenbegriff zur Moderne – hat im Zuge zunächst der Entnationalisierung, dann der Europäisierung und schließlich der Globalisierung der Erinnerungskultur seine traditionelle Legitimität verloren. Wie auf diese allmählichen Sinnverschiebungen im theoriebewussten Teil der zuständigen Fachwissenschaft, der Mediävistik, und über sie hinaus reagiert wurde, zeigt Ludolf Kuchenbuch in seinen dichten Kurzporträts von rund 40 einschlägigen Arbeiten, erschienen zwischen den 1960er und den 2020er Jahren. Er grenzt sich so von allein gegenwartsorientierten Debattenbeiträgen ab und profiliert die relevanten Initiativen und Positionen als Eigenleistungen, im Beziehungsnetz und im diskursiven Trend bis hin zur breitgefächerten aktuellen Meinungsfront. Prägnante Stichworte der Positionierungen: Langes Mittelalter, mittleres Jahrtausend, Sonderweg, Weltsystem, Christentümer, Alteuropa, Lateineuropa, Feudalisierung, Okzident, Eurozentrismus, Mediterraneum, Globalisierung, Eu(f)rasien, Kontinentalisierung, Peripherie, Konnektivität, Kovivialität, Denomination, Pfadabhängigkeit. Am Ende wagt Kuchenbuch eine komplexe eigene Positionierung.

 


Band 10

David Nirenberg: Rassendenken und Religion im Mittelalter. Über Ideen zur somatischen Reproduktion von Ähnlichkeit und Differenz

Göttingen 2023

Cover von Band 10 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / Wallstein Verlag

Über die Verbindung religiöser und rassistischer Diskriminierung.

Das Konzept unterschiedlicher menschlicher »Rassen« sowie daraus resultierender Rassismus werden häufig als Erscheinungen der Moderne angesehen, die biologisches Wissen und biopolitisches Denken voraussetzten. Doch die Diskriminierung und Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer biologischen Herkunft ist weitaus älter und lässt sich mindestens bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Wie lässt sich die lange Geschichte dieser kulturellen Grenzziehungen verstehen, und was lässt sich daraus für die heutigen Erscheinungsformen des modernen Rassismus lernen?
Als international anerkannter Experte für die Geschichte jüdischer, christlicher und islamischer Kulturen verschränkt David Nirenberg in diesem Essay die Betrachtung von biologisch geprägter Diskriminierung und Verfolgung mit der religiösen Diskriminierung von Menschen. Am Beispiel der kastilischen Christen im 14. und 15. Jahrhundert sowie der muslimischen Almohaden in Nordafrika im 11. und 12. Jahrhundert zeigt er, wie unterschiedliche religiöse Kulturen Konzepte hervorbrachten, die bemerkenswerte Ähnlichkeiten zu moderner rassistischer Diskriminierung aufwiesen. Damit fragt er letztlich nach der Geschichte einer Verbindung von kulturellen Konzepten der Ähnlichkeit und Differenz mit Ideen der biologischen Reproduktion.

 


Band 9

Claudia Rapp: Zerrspiegel, Streiflichter und Seitenblicke. Perspektiven der Byzantinistik heute

Göttingen 2023

Cover von Band 9 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / Wallstein Verlag

Weit mehr als ein Orchideenfach: Ein Essay über die neuesten Entwicklungen der Byzantinistik.

Vor zwei Forschergenerationen hat Cyril Mango das Schrifttum der Byzantiner als »Zerrspiegel« bezeichnet und dessen historischen Aussagewert in Frage gestellt. Ein halbes Jahrhundert später gibt dies Anlass zur Reflexion über Entwicklungen von neuen Fragestellungen und neuen Methoden, auch im digitalen Bereich. Mit Metaphern aus der Optik als rotem Faden – wie Zerrspiegeln, Streiflichtern, Seitenblicken und blinden Flecken – blickt Claudia Rapp auf die jüngsten Entwicklungen der Forschungslandschaft zurück und wagt eine Bestandsaufnahme. Was steht im Mittelpunkt des Forscherinteresses und was wird auf diese Weise nicht oder nur sehr selektiv wahrgenommen? Wie hat die Byzantinistik von neuen Forschungsimpulsen in anderen Fachdisziplinen profitiert? Welche Erkenntnisse sind nur dann möglich, wenn das Augenmerk auf nicht-byzantinische Quellen gelenkt wird? Welche Rolle spielen die Entwicklung der akademischen Publikationskultur und die digitale Revolution in diesem Zusammenhang? Es wird deutlich, wie der verstärkte Dialog mit anderen Forschungsrichtungen die Byzantinistik auf neue Wege des Sehens gebracht hat.


Band 8

Ulrich Rudolph: Ein Dominikaner in Tunis: Raimundus Martini und sein Studium der islamischen Theologie und Philosophie im 13. Jahrhundert

Göttingen 2022

Cover von Band 8 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / Wallstein Verlag

Tunis im 13. Jahrhundert nach Christus: Der aus Katalonien stammende Dominikaner Raimundus Martini (gest. nach 1284) hält sich mehr als zehn Jahre in der Stadt auf, um Arabisch zu lernen und sich an der Mission dort lebender Muslime zu beteiligen. Ob er dabei erfolgreich war, wissen wir nicht.
Doch nachweisbar ist, dass Raimundus seine neuen Sprachkenntnisse nutzte, um arabische Texte zu Philosophie und Theologie im Original zu studieren, die zuvor nie ins Lateinische übersetzt wurden. Seine Rezeption dieser Ideen und Lehren fand Ausdruck in seinem Hauptwerk »Pugio fidei« (»Der Dolch des Glaubens«). Besonders ungewöhnlich: Bei aller Kritik an der islamischen Philosophie, die Raimundus als problematisch begreift, zeigt er so manche Sympathie für Argumente islamischer Theologen, seiner Konkurrenten.
Ulrich Rudolph untersucht die Geschichte dieser interreligiösen Rezeption. Sein Essay beginnt mit einem Blick auf die politische Konstellation am Mittelmeer im späten 13. Jahrhundert, thematisiert den allgemeinen Stand der arabisch-lateinischen Übersetzungen zu dieser Zeit und beleuchtet den Fall des »Pugio fidei«, der auch für den heutigen interreligiösen Diskurs anregend sein kann.

 


Band 7

Patrick J. Geary: Herausforderungen und Gefahren der Integration von Genomdaten in die Erforschung der frühmittelalterlichen Geschichte

Göttingen 2020

Cover von Band 7 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / Wallstein Verlag

Spektakulär sind die Fortschritte, die die Genomik in jüngster Zeit erreicht hat. Populationsgenetische Studien verwenden die Daten aus der heutigen Bevölkerung und beziehen diese auf vergangene demografische Vorgänge; doch auch altes Skelettmaterial wird für Deutungen der Vergangenheit herangezogen. Nicht nur die Fachwelt, sondern auch eine breite Öffentlichkeit erhofft sich dadurch neue Aufschlüsse über die Identität von Menschen in Gegenwart und Vergangenheit. Doch einige dieser Arbeiten laufen Gefahr, die Fehler eines Reduktionismus zu wiederholen, der in der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts dem Rassismus Vorschub geleistet hat.
Der amerikanische Mittelalterhistoriker Patrick J. Geary sucht für seine Auswertung von Genomdaten der Völkerwanderung die Zusammenarbeit mit Archäogenetikerinnen und Archäogenetikern und stellt in seinem Essay grundlegende Fragen zur historischen Nutzung dieses Materials: Wie können Genomdaten so mit der bekannten schriftlichen Überlieferung verbunden werden, dass sich grundlegende historische Prozesse wie Migration und sozialer Wandel neu interpretieren lassen? Und kann auf dieser Grundlage unser Verständnis der jüngeren Vergangenheit vertieft werden?


Band 6

Dorothea Weltecke: Minderheiten und Mehrheiten. Erkundungen religiöser Komplexität im mittelalterlichen Afro-Eurasien

Berlin 2020

Cover von Band 6 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / de Gruyter

Müssen monotheistische Religionen intolerant sein? Religion war im Mittelalter eine Kategorie der sozialen und rechtlichen Ungleichheit. Doch die Duldung anderer monotheistischer Gruppen war in den christlichen und islamischen Herrschaftsgebieten Eurasiens vielfach unumgänglich und üblich. In welchem Verhältnis standen religiöse Abgrenzung und soziale Verflechtung? Zu diesen Fragen gibt die jüngere Forschung viele Antworten, die hier systematisiert werden.


Band 5

Roderich Ptak: China und Asiens maritime Achse im Mittelalter. Konzepte, Wahrnehmungen, offene Fragen

Berlin 2019

Cover von Band 5 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / de Gruyter

Schriftquellen und archäologische Zeugnisse erlauben Einblicke in den mittelalterlichen asiatischen Seehandel. Doch darf man die maritime Bühne Asiens auf Handelsbeziehungen reduzieren? Wie treffend ist das beliebte Bild von der "Maritimen Seidenstraße"? Wie steht es um Konzepte und Theorien, etwa um die Möglichkeit, Braudel'sche Normen auf Asien zu übertragen? Und wie ist die Rolle Zheng Hes zu werten? Das Thema ist aktueller denn je, zumal Beijing für eine Wiederbelebung früherer Kontakte in neuem Format wirbt.


Band 4

Eduard Mühle: Die Slaven im Mittelalter

Berlin 2016

Cover von Band 4 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / de Gruyter

Die "Slaven" begegnen in mittelalterlichen Quellen wie in der modernen Mediävistik in vielfältiger Weise. Was aber meinten die mittelalterlichen Zeitgenossen, wenn Sie von "Slaven" oder "Slavenland" schrieben und was kann die Mediävistik heute mit diesen Begriffen sinnvoll bezeichnen? In welchem Verhältnis stehen die im 6. Jahrhundert einsetzenden, von der Wissenschaft seit dem 18. Jahrhundert verfeinerten Konstruktionen "slavischer" Identitäten zu den mittelalterlichen Wirklichkeiten? Die Studie fragt danach, ob bzw. inwieweit der in byzantinischen, arabischen und lateinischen Quellen begegnende Begriff "Slaven" tatsächlich auf eine reale Einheit, ein gemeinschaftliches Identitätsbewusstsein verwies oder nicht auch schon im Mittelalter – wie im 18.-20. Jahrhundert – vor allem ein Instrument bestimmter politisch-ideologischer Programme war.


Band 3

Hermann Kulke: Das europäische Mittelalter - ein eurasisches Mittelalter?

Berlin 2016

Cover von Band 3 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / de Gruyter

Am Beispiel transkontinentaler Migrationen und transkultureller Verflechtungen wird deutlich, dass das europäische Mittelalter weder ein europäisches Phänomen sui generis noch eine Zeit "getrennter Kulturen" war. Als ein Höhepunkt intensiver Wirkungszusammenhänge, die bereits vor der europäischen Expansion Anzeichen einer frühmodernen Globalisierung tragen, stellt es statt dessen ein eurasisches Phänomen dar.


Band 2

Jan-Dirk Müller: König Philipp und seine Krone. Über Fremdheit und Nähe mittelalterlichen Dichtens und Denkens

Berlin 2013

Cover von Band 2 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / de Gruyter

Eine eigentümliche, typisch mittelalterliche Auffassung von Herrscher und Herrschaft, Herrschaftszeichen und Legitimität zeigen zwei Kommentare Walthers von der Vogelweide zur doppelten deutschen Königswahl von 1198. In den beiden "Sprüchen" wirbt der Dichter für den staufischen Thronbewerber Philipp von Schwaben und begründet es nicht mit rechtlichen Abstraktionen, sondern mit der äußeren Erscheinung des gekrönten Herrschers überhaupt sowie mit dessen Selbstdarstellung vor den Fürsten beim Weihnachtsfest in Magdeburg. Strukturen dieses fremdartigen Denkens finden sich neben der Politik auch insgesamt in der Praxis der feudalen Laiengesellschaft und in der auf sie bezogenen Literatur. Dies wird auch an weiteren literarischen Texten (Nibelungenlied, 'Iwein', 'Parzival' u. a.) erörtert.

 


Band 1

Otto Gerhard Oexle: Die Gegenwart des Mittelalters

Berlin 2013

Cover von Band 1 von Das mittelalterliche Jahrtausend

© BBAW / de Gruyter

Die als 'Mittelalter' bezeichnete Epoche der europäischen Geschichte ist zunächst gegenwärtig in der Vielzahl von Gegenständen und Denkmälern, von Handschriften und Bauten, von Literatur und Musik, die aus jener Epoche bis heute erhalten geblieben sind. Einen umfassenden Deutungszusammenhang von 'Mittelalter' schuf sodann der von den Humanisten des Spätmittelalters und der Renaissance konzipierte Begriff des 'Medium Ævum', der noch unserem Begriff des Mittelalters als dem 'Jahrtausend von 500 bis 1500' zugrunde liegt. Schließlich führten die historischen Erfahrungen der Aufklärung zu neuen Formen des kulturellen Gedächtnisses, auch des Mittelalters. Die davon provozierte kulturelle Produktivität ließ Werke der Literatur und der Musik, der Malerei und der Architektur der Moderne entstehen, in denen sich andere Formen der Gegenwart des Mittelalters zeigen, wie zum Beispiel in den Bauten eines Alfred Messel und eines Ludwig Mies van der Rohe.